Daß Gott uns während der Kontemplation begegnet, so haben wir gesehen, ist immer Sein Geschenk. Und bleibt damit auch immer unverdient, ganz gleich, wie sehr wir uns danach ausgestreckt haben.
Ich möchte den Aspekt des Geschenkes nun aber noch einmal betrachten, aus einer anderen Perspektive: als etwas, das wir Gott schenken.
Besonders dann, wenn wir uns bewußt Zeit nehmen, Gott in der Stille zu begegnen, ohne Worte, ohne Gedanken, wenn wir einfach nur vor Gott sein wollen – dann kann die Frage auftauchen, was das denn eigentlich soll. Warum sollte es sinnvoll sein, in Gottes Gegenwart zu schweigen? Was „bringt“ es, wenn ich versuche, ganz still zu sein, jeden Gedanken ziehen zu lassen, ohne ihn festzuhalten? Bringt es Gott etwas? Bringt es mir etwas?
Für mich liegt hier ein Geheimnis, das sich nicht auf den ersten Blick erschließt. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß es ein Unterschied ist, wie ich in eine solche Zeit hineingehe. Ich kann sie als eine Übungzeit verstehen, näher an Gott heranzukommen, so, wie ich vielleicht meinen Körper trainiere, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Oder ich kann Gott ein Geschenk machen: das Geschenk meines Schweigens.
Konkret kann das folgendermaßen aussehen: zu Beginn meiner Stille-Zeit sage ich Gott daß sie allein Ihm gehören soll. Aber dann passiert es: bereits nach wenigen Sekunden beginnen die unterschiedlichsten Gedanken aufzupoppen, wie Blasen aus der Tiefe eines Sees. In der Regel ist es nicht schwer, sie loszulassen; und wenn ich einen Gedanken nicht festhalte, dann verschwindet er so schnell, wie er gekommen ist. An dieser Stelle befinde ich mich noch auf der Ebene der Übung: ein Gedanke taucht auf, ich lasse ihn los, und wende meine Aufmerksamkeit wieder dem Geliebten zu, der bei mir ist.
Aber dann gibt es andere Gedanken, die eine viel größere Kraft haben, die mich faszinieren, die loszulassen mir sehr schwer fällt. Vielleicht fällt mir etwas ein, das ich unbedingt in mein nächstes Seminar einbauen möchte. Ein Bild, wie ich noch deutlicher das Wesen der Kontemplation erklären kann. Vielleicht erkenne ich gerade einen Aspekt Gottes, und ich möchte diese Erfahrung für mich festhalten, möchte sie konservieren.
Und genau an dieser Stelle stehe ich an einer Weggabelung: folge ich meinen Gedanken, meinen Träumen, meinen Plänen? Dieser Weg lockt mit schneller, oberflächlicher Befriedigung. Oder lasse ich diese Gedanken, die mir gerade so wertvoll sind, bewußt los, schenke sie Gott, und kehre zum inneren Schweigen zurück? Ich spüre es genau: gehe ich den ersten Weg, dann verlasse ich die Aufmerksamkeit für Gott. Dann bin ich bei mir, aber nicht mehr bei Ihm. Aber loszulassen, Ihm zu sagen: „Du bist jetzt wichtiger als diese Gedanken“, das kostet etwas. Ich gehe ganz bewußt das Risiko ein, sie für immer zu verlieren, mich auch nach der Stille nicht mehr zu erinnern. Dieser Entschluß ist damit ein Opfer, ist ein Akt der Selbstverleugnung.
Gott ist mir in diesem Augenblick wichtiger als ich mir selbst. Und auf einmal ändert sich mein inneres Schweigen. Bisher hat es sich dadurch ausgezeichnet, daß ich etwas nicht tue: nämlich meinen Gedanken zu folgen. Der Schwerpunkt meines Schweigens lag auf dem Nein zu der Unruhe in meinem Inneren, um durch sie hinduch den Blick auf Gott zu bekommen. Doch jetzt, nachdem ich ganz bewußt losgelassen habe, was mit wirklich wertvoll ist, wird mein Schweigen zu einem Ja, zu etwas kostbarem, wertvollen, das ich meinem Geliebten zum Geschenk mache.
Was aber, wenn diese wunderbaren Gedanken während der Stille von Gott kommen? Würde ich all das nicht verlieren, wenn ich sie einfach loslasse? Tatsächlich wäre das so – wenn sich meine Beziehung zu Ihm auf die Stille beschränken würde. Aber das ist ja nicht der Fall. Zum einen entspringen die Gedanken, die ich loslasse, zum allergrößten Teil sicherlich meiner eigenen Phantasie. Und zum anderen: durch das betende Lesen Seines Wortes, durch andere Lektüre, durch Predigten oder meinen Alltag hat Er sehr viele Möglichkeiten, zu mir zu sprechen, und das tut Er ja auch. Ich bin da also sehr entspannt.
So erfahre ich also gerade die faszinierenderen Gedanken während der Stille als eine Chance: meinem Gott auf meine Art meine Liebe zu zeigen.
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